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Unter dem Milchwald

von Michael Jaesrich

Wer am Montagabend das Uracher Gymnasium aufgesucht hatte, um sich dem klar strukturierten Ablauf eines klassischen Dramas hinzugeben, wurde „bitterlich“ enttäuscht. Die strengen Vorgaben aristotelischer Theaterkunst; eine linear aufgebaute Handlung, wenige klar ausgearbeitete Charaktere oder gar die Einteilung in Akte; all das wurden beiseite gestoßen, um Raum für etwas Größeres zu schaffen. Dem staunenden Publikum wurde weniger eine abgeschlossene Geschichte, vielmehr ein Panoptikum menschlichen Lebens dargeboten. Das kleine Dorf LLareggub war Kulisse für unterschiedlichste, teilweise skurile Charaktere und Figuren. In schneller Szenenfolge wurden die faszinierten Besucher in Gasthäuser, in die Stuben und letztlich gar in die Betten der Dorfbewohner gesogen. War man als Zuschauer zu Beginn des Stückes sicherlich noch versucht einen kohärenten Bezugspunkt, quasi den roten Faden des Stückes zu finden, so wurde dieses Bemühen mehr und mehr ersetzt durch ein Gefühl des Sich-treiben-lassens, des Eintauchens in die Welt von Llareggub. Die Frage nach dem Thema des Stückes ließe sich wohl am ehesten mit „das ganze Leben“ beantworten. Immer deutlicher wurden die menschlichen Zwischentöne im Dorfalltag wahrnehmbar. Etwa als der blinde, alte Käpt’n Cat, in jungen Jahren ohne Zweifel ein Frauenheld, in Erinnerungen an seine einzig wahre Liebe schwelgt und an diesen Gedanken verzweifelt. Oder wenn der Säufer in der Hafenkneipe seine Liebesschwüre an die Dorflehrerin rezitiert, ohne dass diese je von seinen Gefühlen erfährt. Wenn der brave Ehemann Mr. Pugh, der seiner strengen Ehefrau servil lächelnd am Frühstückstisch gegenüber sitzt, tief im Inneren aber Mordpläne schmiedet, die wohl nie in die Tat umgesetzt werden, durchläuft den Betrachter ein kalter Schauer. Als schließlich die gestrenge Mrs. Ogmore-Pritchard ihre längst zu Tode gequälten Ehemänner noch in deren Geisterexistenz tyrannisiert oder die auf Aussprache bedachte Lehrerin Gossamer Beynon gar die vierte Wand des Stückes durchbricht und das Publikum zu Schulklasse degradiert, erreicht das Spiel auf der Bühne seinen Siedepunkt. An dieser Stelle sei auch auf den wilden Mr. Waldo verwiesen, dessen unmittelbare und animalische Tanzeinlagen an den jungen Alexis Sorbas erinnern, oder mehr noch, diesen verblassen lassen. Ein Kaleidoskop menschlicher Gefühle, Hoffnungen und Ängste präsentierte die Theater-AG, am Ende destilliert zu einer Liebeserklärung an den Menschen an sich.
Stolz war Mathias Eicks auf seine Truppe und das zu Recht. Es ist ihm bei seiner ersten Inszenierung mit der traditionsreichen Theatergruppe am GEG ohne Zweifel gelungen, in die großen Fußstapfen Martina Auers zu treten. Der Lehrer betont, es sei ihm darum gegangen den Schülern große Freiheit zu geben und Möglichkeiten zu schaffen, dass sich die jungen Schauspieler ausleben können auf der Bühne. Besonders die poetische, sprachliche Kraft des Stückes habe ihn sofort angesprochen. Und das Publikum konnte sich überzeugen, dass die Schüler den vor Metaphern und Alliterationen überbordenden Text nicht nur mühsam memoriert, sondern auch vollkommen verinnerlicht hatten.
Das Uracher Theaterpublikum kann sicher gespannt sein auf die Arbeit der Theater-AG in den kommenden Jahren.

 

Mathias Eicks (Regisseur)
Deniz Akdeniz
Alexander Grassl
Markus Rausche
Connie-Marie Strähle
Leonie Denzel
Denise Huttelmaier
Lisa Müller
Ellen Gemml
Luise Kleih
Michelle Kammer
Nadine Bizu
Tamara Pascher