Das Publikum fand sich alsbald in einer zweieinhalbstündigen Achterbahnfahrt der Gefühle wieder: Im nur auf Shakespeare-Karten verzeichneten Illyrien will Herzog Orsino (Janis Steger) die Hand der von ihm herrlich kitschig angeschmachteten Gräfin Olivia gewinnen. Am Klavier verleiht der Fürst seinen Gefühlen immer wieder liebestrunkenen Ausdruck. Leider hält die angebetete Olivia (Fenna Haas) von den Avancen des Standesgenossen herzlich wenig - im Gegenteil – in unnachahmlicher Weise herrisch verkündet sie wiederholt, dass ihr um den Tod ihres Bruders trauerndes Herz nicht zu gewinnen sei.
Graf Orsino überbringt seine Botschaften natürlich nicht selbst, sondern bedient sich dafür des Edelmannes Cesario (Hanna Hüppop), ohne zu wissen, dass diese(r) eigentlich Viola heißt. Viola/Cesario aber folgt ihrer Aufgabe mit durchaus zwiespältigen Gefühlen, da sie inzwischen selbst in flammende Liebe für den Herzog entbrannt ist. Der Verwicklungen nicht genug, weist Olivia zwar die Anfragen des Herzogs kalt ab, kann sich aber aufkeimender Gefühle für den adretten Liebesboten kaum erwehren.
Im weiteren Verlauf des rasanten Stückes wird dann ein Drama hinter dem Drama offenbar: So war Viola alias Cesario gemeinsam mit ihrem Zwillingsbruder Sebastian (ebenfalls Hanna Hüppop!) in einen Schiffbruch verwickelt und geht davon aus, dass der geliebte Bruder dabei ertrunken sei. Doch zieht Sebastian mit seinem Retter, der Kapitänin Antonia, ebenfalls durch Illyrien und beklagt den vermeintlichen Tod der Schwester.
Dass das Publikum diesen und weiteren Verwicklungen jederzeit folgen kann, verdankt sich kluger, konzentrierter Inszenierungsideen: So veranschaulicht - ausgerechnet - Hofnarr Feste (Mara Beck) im Laufe des Stücks im Hintergrund der Bühne das komplexe Beziehungsgeflecht in einem überdimensionierten Tafelanschrieb, der jeder Lehrprobenstunde zur Zierde gereicht hätte. Zudem heben riesige, zum Teil aufblasbare Requisiten (Ringe, Flaschen, Medaillon, Brief) immer wieder besondere Bedeutungen hervor und unterstreichen so bildhaft das komische Bühnengeschehen.
Bei diesem darf eine Gruppe weiterer Figuren nicht unerwähnt bleiben, die die verfahrene Handlung vorantreiben und dem Stück die nötige humoristische (bisweilen auch tragikomische) Würze verleihen. Am Hofe Olivias wirkt beispielsweise eine recht lebenslustige Gruppe junger Adliger, die sich den Sinnesfreuden des Lebens nur allzu gerne hingeben. Junker Christoph (Deniz Coconcelli) hat selbst ein Auge auf Olivia geworfen und wird in seinen Bemühungen vom Vetter der Gräfin, Junker Tobias (Mia Digel), und einem weiteren Kumpan, Fabian (Julia Benovicova), auf eher zwiespältige Weise unterstützt. Mit seinem ausdrucksstarken Spiel sorgt das hochkomische Trio zuverlässig für lauten Zwischenapplaus. In ihrem anstößigen Lebenswandel werden sie allerdings auf Schritt und Tritt von Malvolio (Johanna Durdel) gestört, der als im Übrigen tugendhafter Haushofmeister der Gräfin ebenfalls in seine Herrin verliebt ist.
Und so schmieden die Zechbrüder gemeinsam mit Olivias durchtriebener Kammerdienerin Maria (Amy Hörz) einen Plan, um dem moralinsauren Tugendwächter eine Lektion zu erteilen:
Mit einem fingierten Liebesbrief bringen sie Malvolio dazu, auf lächerliche Weise dauergrinsend und "in gelben Strümpfen, mit kreuzweis geknoteten Knieriemen“ vor Olivia zu erscheinen, um deren Liebesschwüre zu empfangen. Die nichtsahnende Olivia kann das seltsame Betragen ihres treuen Angestellten nur als Geisteskrankheit missverstehen und fragt besorgt: „Willst du ins Bett, Malvolio?“, nur um die völlig unangemessene Antwort zu erhalten: „Ins Bett, oh ja, ich komme zu dir!“ Letztlich führt der bösartige Streich der Junker sogar dazu, dass Malvolio eingesperrt und vom zwischenzeitlich als Hochwürden Topas verkleideten Narren böse verspottet wird.
Nach der Pause beginnen sich die verwobenen Handlungsfäden langsam zu entwirren. Violas Bruder Sebastian erreicht den Hof und wird von Olivia für den geliebten Cesario gehalten. Der Vermisste kann die Reigen am Hof nicht durchschauen und fühlt sich von den Avancen der Gräfin so sehr geschmeichelt dass er begeistert einwilligt, vom immer noch als Priester verkleideten Narren mit Olivia vermählt zu werden.
Im großen Finale versammeln sich dann alle Figuren noch einmal auf der Bühne, wo sich nach und nach die Paare neu ordnen. An dieser Stelle kulminiert die phänomenale Leistung Hanna Hüppops, die im raschen Wechsel den Dialog zwischen Viola und Sebastian auf die Bühne zaubert.
Als sich zuletzt auch noch der Narr seines Talars entledigt, sind die wichtigsten Fragen geklärt und die Narretei des Lebens offenbar.
Die allgemeine Heiterkeit scheint jetzt nur noch Malvolio zu stören, der hier zwar nicht nach Rache ruft, jedoch die allgemeinen Hochzeitsvorbereitungen mit den aus einem anderen Shakespeare-Stück entliehenen Worten „Der Rest ist Schweigen.“ verlässt und so das letzte Wort zu haben scheint. Doch der endlich glücklich verliebte Herzog korrigiert „Nein, der Rest ist Musik!“ und spielt - das erste Mal im Leben vierhändig. Und dieser letzte Wortwechsel bringt es wohl auf den Punkt: Bei Shakespeares Stück handelt es sich eben nicht um eine seichte Komödie, die ausschließlich belustigen soll. In den Rollen und den behandelten Themen steckt ein Panoptikum menschlichen Denkens, Fühlens und Handelns. Die lebendig dargestellten Rollen sind vielschichtig und unter der lustigen Oberfläche ist häufig große Tragik verborgen. Zudem verschwimmen Standes und Geschlechterrollen auf vielfältige Weise, so dass sich der Brückenschlag zu aktuellen gesellschaftlichen Diskussionen geradezu aufdrängt.
Alle diese Aspekte zur vollen Blüte gebracht zu haben ist sicher der größte Verdienst des jungen Ensembles am GEG.
BESETZUNG
Orsino Janis Steger
Valentin/Offizier Mylena Meyer
Viola/Cesario/Sebastian Hanna Hüppop
Kapitän/Kapitänin Lara Sobotta
Olivia Fenna Haas
Maria Amy Hörz
Junker Tobias Mia Digel
Junker Christoph Deniz Coconcelli
Malvolio Johanna Durdel
Fabian Julia Benovicova
Feste/Topas Mara Beck
Regie Mathias Eicks
Technik Amaury-Etienne Kroh, Linus Beck, Florian Kürner, Hannes Schiller,
Jakob Schiller, Hannes Zaiser, Jan Westerkamp
Plakat Ivana Juric
Bühnenaufbau Peter Waimer, AK Technik
Programmheft Julia Brauch