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Es war einmal...

Michael Jaesrich

Der Abend beginnt mit einer Vorausblende. Die junge Prinzessin Henriette von Rosenfurt (Luisa Baumann) betritt, emsig umsorgt von einer großen Dienerschar, wütend die Bühne: „Ich will mich nicht beruhigen! Ich will mich ärgern!“ schmettert sie dem Publikum entgegen. Der Grund für ihre Wut wird erst am Ende des Abends offenbart und entsprechend nun zum eigentlichen Beginn der Geschichte übergeblendet.

In einem Land voller winziger Königreiche, im finstersten Mittelalter (herrlich in Szene gesetzt durch erlöschende Lichter), lebte auch die Familie derer von Rosenfurt. Die königliche Familie, deutlich dominiert von einem weiblichen Dreigestirn, bestehend aus der Königin von Rosenfurt (Louise Foitor) deren Schwester Esmeralda (Lulu Dwork-Weis) und der bereits erwähnten Prinzessin Henriette, sitzt beim Abendmahl und diskutiert die Heiratsmöglichkeiten der Letztgenannten. Keinesfalls möchte man sich mit zweitklassigen Kandidaten zufriedengeben und ein Gemahl aus dem unkultivierten Norden kommt erst recht nicht in Frage. Anmerkungen des am Katzentisch dinierenden Königs Gustav (Janis Steger) werden von den drei Damen über den gesamten Abend hinweg schlichtweg mit dem Ausruf „Gustav, halt den Mund!“ abgetan.

Männlichen Rat benötigen die wunderbar versnobt-arrogant auftretenden Monarchinnen offensichtlich keinen. Schnell wird eine Lösung für die drängende Hochzeitsfrage gefunden. Man wird die Prinzessin einfach von einem „Untier“ entführen lassen, um mutige (und möglichst wohlhabende) Prinzen zur Rettung zu animieren. Natürlich benötigt man dafür ein möglichst zahmes oder am besten vegetarisches Untier, welches nach einem der vielen, gekonnt vorgenommenen, Wechsel des Bühnenbildes in einem tiefen dunklen Wald gefunden wird.

Das Untier erweist sich nicht nur als ungefährlich, es freut sich anfangs sogar über die Gesellschaft von Prinzessin Henriette; vor allem weil sie mit einer Wagenladung Proviant angereist ist. Die anfängliche Begeisterung weicht aber schnell einer gewissen Resignation, als das arme, von Marius Wirth herrlich skurril dargebotene, Untier bemerken muss, dass die verzogene und anspruchsvolle Aristokratin seine Höhle usurpiert.

Der weitere Verlauf des Stückes entspricht dann natürlich auch nicht den althergebrachten Traditionen der klassischen Märchenliteratur. Die Kunde über die einmalige Gelegenheit eine Prinzessin und ein halbes Königreich zu gewinnen dringt versehentlich auch in den ungeliebten Norden, weil ein Bote (Damian Engel) auf seinem Weg doch etwas tief ins Glas geschaut hat: „Wer die Likörchen befreit, bekommt das halbe Königreich…Nein, wer sie befreit bekommt den König zur Frau, oder so ähnlich.“

Im winzigen Königreich Lützelburg wäre man zwar sehr froh, zusätzliches Land für einen Gemüsegarten zu gewinnen, doch steht am nördlichen Hofe leider „nur“ die Tochter Prinzessin Simplinella zur Verfügung. Umso schockierter reagieren die königlichen Eltern (Janis Steger und Dima Ghanem) als Prinzessin Simplinella forsch ankündigt, selbst aufbrechen zu wollen, um die Standesgenossin zu befreien: „Ist doch egal, ob sie von einem Mann oder einer Frau befreit wird!“ In der Folge widersetzt sich Simplinella dem elterlichen Gebot, verkleidet sich als Junge und begibt sich auf Aventiure. Auf ihrem Weg freundet sich mit einer Dienerin an und lernt, trotz initialem Kulturschock, auch mit den „unteren Etagen“ der Gesellschaft zu sympathisieren.

Danach kommt es zu zahlreichen spannenden und aberwitzigen Verwicklungen, die an dieser Stelle nicht im Detail ausgeführt werden können, doch muss das lebendige und ausdrucksstarke Spiel der gesamten Truppe unbedingt hervorgehoben werden. Ausgestattet mit fantastischen Kostümen überzeugen die jüngsten Mimen am GEG bis hinein in die Nebenrollen. So seien an dieser Stelle beispielhaft Damian Engel und Muharrem Topgül genannt, die in unterschiedlichsten Rollen die Bühne betreten und mit ihrem unbedarft-ausdrucksstarken Spiel jedes Mal für Lacher und Begeisterungsstürme sorgen. Das bis ins Detail ausgeklügelte Bühnenbild, tut sein Übriges und rundet das Drama atmosphärisch ab.

Am Ende des Abends wird Prinzessin Henrietta zwar befreit, doch kann sie sich über die „unheiratbare“ Retterin nur sehr bedingt freuen. Das „Untier“ offenbart sich nach dem obligatorischen Befreiungskuss durch Prinzessin Simplinella als verzauberter (und reicher) Prinz Edmund und bietet dieser seine Hand an…doch wie kann es an diesem Abend anders sein…Simplinella lehnt dankend ab, als sie erfährt, dass Edmund märchenregelkonform auch Henrietta geheiratet hätte. Die Märchentradition wird kurzerhand durch individuelle Vernunftentscheidungen ersetzt und Simplinella bittet stattdessen für sich und ihre neugewonnen „Dienerfreundin“ um Gold.

Alles in allem hat die Truppe um Christoph Nörr und seine Co-Regisseurin Alessa Wirth wieder einmal ein grandioses Stück auf die Bretter gebracht. Im Vordergrund stand der Humor und die Publikumsreaktionen über den Abend hinweg bewiesen, dass die Zuschauer in dieser Hinsicht voll auf ihre Kosten kamen. Im Hintergrund bot diese Inszenierung aber so viel mehr. Viele bekannte Stereotype, speziell das Männerbild, wurden permanent und intelligent durchbrochen. Aber auch Klassenunterschiede zwischen Adel und Unterschicht oder Vorurteile gegen Fremdes werden thematisiert. Am Ende ruht man sich nicht einmal auf der schlichten Umkehrung der Geschlechter- und Standesrollen aus, sondern agiert sehr viel differenzierter. Besonders deutlich zu sehen an der Figur der Henriette von Rosenfurt. Diese Figur ist einerseits starke junge Frau, die weiß, was sie will und andererseits standesbewusste und ungerechte „Göre“ aus der Oberschicht.

Capaeu „Kleine Bühne“…Das war groß!

 

Sophia Gaßner                                 Prinzessin Simplinella

Mia                                                        Hanna Unruh

Prinzessin Henriette                      Luisa Baumann

Untier                                                  Marius Wirth

Edmund/Bote                                  Damian Engel

Trompeter/Prinz/Wirt                  Muharrem Topgül

Königin Lützelburg                          Dima Ghanem

König Gustav/König v. Lützelburg           Jannis Steger (Jonne Traub)

Königin                                                               Luise Foitor

Königin Esmeralda                                         Lulu Dwork-Weis

Dienerin 1                                                          Carlotta Rodrigues Dias de Melo

Dienerin 2                                                          Lara Engelfried

Dienerin 3                                                          Kim Schulze

Dienerin 4                                                          Alena Schülke

Dienerin 5                                                          Djellta Alijaj

Regie/Drehbuch                                             Christoph Nörr

Co-Regie/Design                                            Alessa Wirth